Beckenringfraktur: Ursachen, Arten und Folgen
Eine Beckenringfraktur ist eine Verletzung, bei der Knochen und/oder Bänder des Beckens beschädigt werden, wodurch die vordere und/oder hintere Beckenringstruktur unterbrochen wird. Diese Verletzungen können ein- oder beidseitig auftreten und entstehen häufig durch starke Gewalteinwirkung, etwa bei Verkehrsunfällen, Arbeitsunfällen oder Stürzen aus grosser Höhe (Hochenergieverletzungen).
Im Alter sind Beckenfrakturen oft auf Osteoporose zurückzuführen und können nach Stürzen aus geringer Höhe oder durch sogenannte «Mikrotraumata» auftreten (Niedrigenergieverletzungen, Insuffizienzfrakturen, fragility fractures of the pelvis (FFP)). In mehr als 65% der Fälle sind sowohl der vordere als auch der hintere Beckenring betroffen, während in etwa 20% nur der vordere und in etwa 15% nur der hintere Beckenring betroffen sind.
Je nach Mechanismus der Verletzung werden seitliche (lateral compression, LC), vordere (anteroposterior compression, APC) und axiale (vertical shear, VS) Kräfte unterschieden.
Bei lateralen Kompressionsverletzungen können am hinteren Beckenring das Kreuzbein eingestaucht sein (Sakrumimpressionsfraktur), die Beckenschaufel brechen (Iliumfraktur) oder am gegenseitigen Hemipelvis (Beckenhälfte) Bänder zerreissen mit Verletzungen des Iliosakrakgelenkes. Am vorderen Beckenring können Schambeinäste quer brechen.
Anteroposteriore Kompressionsfrakturen führen typischerweise zur Zerreissung der Symphyse oder zu vertikalen Schambeinastfrakturen, während am hinteren Beckenring die Iliosakralgelenke aufreissen oder zentrale Sakrumfrakturen auftreten. Solche «open book»-Verletzungen sind typisch bei Motorrad- oder Reitunfällen und gehen oft mit starken Blutungen einher.
Vertikale Scherverletzungen sind gekennzeichnet durch eine komplette Zerreissung der Symphyse oder stark verschobenen Schambeinästen und einer kompletten Ruptur des Iliosakralgelenks, möglicherweise begleitet von Frakturausläufern in die Beckenschaufel oder stark dislozierten, mehrfragmentären Kreuzbeinfrakturen. Diese Verletzungen können mit starken Blutungen, Nervenschäden und zusätzlichen Verletzungen im Bauchraum einhergehen.
Die komplexeste Verletzung am hinteren Beckenring ist die spinopelvine Dissoziation, bei der beidseitige Sakrumfrakturen mit zusätzlicher querer Fraktur auftreten. Sie kann als Folge von Hochenergieverletzungen, wie Stürzen aus großer Höhe («suicide jumper’s fracture»), oder als Endstadium bei Insuffizienzfrakturen im Alter entstehen.
Diagnostik einer Beckenringfraktur
Eine Beckenringfraktur kann aus Hoch- oder Niedrigenergieunfällen resultieren. Bei Hochenergieverletzungen sind typische Symptome Fehlstellungen des Beckens, lokale Hämatome, offene oder geschlossene Weichteilverletzungen sowie neurologische Ausfälle.
Insbesondere bei «open book» oder «vertical shear» Verletzungen kann ein Blutungsschock auftreten. Begleitverletzungen wie Harnblasen-, Harnröhren-, Darm-, Leber- oder Milzverletzungen sind häufig bei Polytrauma-Patienten zu beobachten. In solchen Fällen wird eine Ganzkörper-Computertomografie (CT) notfallmässig durchgeführt, wenn der Kreislauf des Patienten stabil genug ist. Andernfalls ist eine Notoperation erforderlich („life saving surgery“).
Bei Niedrigenergieunfällen bleibt die Verletzung oft zunächst unentdeckt. Patienten klagen über tieflumbale Rückenschmerzen bei erhaltener Gehfähigkeit, und Immobilität tritt erst später auf. In einer Beckenübersichtsröntgenaufnahme sind häufig ältere Frakturen zu erkennen. Für eine genaue Frakturbeschreibung und Therapiefestlegung ist eine Computertomografie erforderlich.
Wenn im Röntgenbild oder CT keine Fraktur im hinteren Beckenring sichtbar ist, sollten zusätzlich Magnetresonanztomografien des Beckens und der Lendenwirbelsäule durchgeführt werden, um mögliche degenerative Veränderungen und Einengungen der lumbalen Nervenwurzeln zu beurteilen. Bei länger anhaltenden Schmerzen kann auch eine Kombination aus Computertomografie und Knochenszintigrafie sinnvoll sein (sog. SPECT-CT – „single photon emission computed tomography“) zur Beurteilung des Knochenstoffwechsels.
Konservative Behandlung der Beckenringfraktur
Die konservative Behandlung von Beckenringfrakturen ist eine häufig gewählte Methode, um nicht-verschobene Frakturen am hinteren und/oder vorderen Beckenring effektiv anzugehen. Bei dieser Methode wird eine Teilbelastung von 15 kg auf der Seite der Fraktur des hinteren Beckenrings für einen Zeitraum von 6 Wochen empfohlen.
Regelmässige Röntgenkontrollen sind ein wichtiger Bestandteil der Therapie, um den Heilungsprozess zu überwachen und mögliche Komplikationen frühzeitig zu erkennen. Durch diese Vorgehensweise kann die konservative Behandlung bei Beckenringfrakturen zu einer schnellen Genesung und der Wiederherstellung der Mobilität beitragen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die konservative Therapie bei Beckenringfrakturen eine effektive und schonende Möglichkeit darstellt, um den Heilungsprozess bei nicht-verschobenen Frakturen am hinteren und/oder vorderen Beckenring zu unterstützen. Durch die kontrollierte Teilbelastung und regelmässige Röntgenuntersuchungen können Patienten sicher und schrittweise zur vollständigen Genesung gelangen.
Beckenringfraktur-Operation und Versorgungsmethoden
Bei komplexen Beckenverletzungen und Kreislaufinstabilität sind der Beckengurt als nicht-invasives Notfallverfahren und der äußere Fixateur am vorderen Beckenring oder die sogenannte Beckenzwinge am hinteren Beckenring verfügbar. Bei schwer kontrollierbarer Kreislaufinstabilität können Patienten «in extremis» nach mechanischer Beckenstabilisierung eine chirurgische Tüchertamponade zur Blutstillung erhalten oder eine interventionelle Embolisation der Beckenarterien durch einen Radiologen erfolgen.
Der Goldstandard für die endgültige Fixation des hinteren Beckenrings bei wenig dislozierten Iliosakralgelenken oder Sakrumfrakturen ist die sogenannte iliosakrale Verschraubung, mit oder ohne Knochenzementaugmentation bei Osteoporosefrakturen. Diese minimalinvasive, perkutane Technik wird angewendet. Bei Beckenringfrakturen mit deutlichen Dislokationen erfolgt eine offene Reposition und Versorgung mittels Schrauben- und/oder Plattenosteosynthesen am vorderen und/oder hinteren Beckenring oder in Kombination mit der iliosakralen Verschraubung.
Beidseitige Kreuzbeinfrakturen mit zusätzlicher querer Sakrumfraktur (spinopelvine Dissoziation) werden offen oder perkutan mittels lumbopelviner Stabilisation versorgt. Die Stabilität der Schrauben und Fixation kann mit Zement oder einer zusätzlichen iliosakralen Verschraubung (sogenannte „trianguläre Abstützung“) erhöht werden. 2011 veröffentlichte Prof. Keel erstmals weltweit eine minimalinvasive Technik der lumbopelvinen Fixation. Bei einseitigen Sakrumtrümmerfrakturen kann diese Methode auch einseitig angewendet werden.
Nach lumbopelvinen Fixationen ist eine Vollbelastung möglich, bei lokalen Osteosynthesen mit Platten und/oder Schrauben sollte jedoch eine Teilbelastung von 15 kg auf der versorgten Seite für sechs Wochen eingehalten werden.
Beckenverletzungen: Komplikationen und Risiken
Beckenverletzungen können zu verschiedenen Komplikationen führen, insbesondere wenn sie mit Kreislaufinstabilität einhergehen. In solchen Fällen beträgt die Sterblichkeitsrate 10-20%. Zu den systemischen Komplikationen zählen Sepsis, Multiorganversagen, Thrombosen und Lungenembolien. Lokale Komplikationen können Wundinfektionen bei offenen Frakturen oder schweren Weichteilverletzungen (Morell-Lavallée-Läsion) umfassen. Weitere mögliche lokale Komplikationen sind sekundäre Dislokationen der Fixationen, Pseudarthrosen mit oder ohne Fehlstellungen und Bauchwandhernien bei Symphysenrupturen.
Bei zentralen und transforaminalen Sakrumfrakturen können in etwa 10% der Fälle neurologische Schwächen oder Ausfälle der L5- oder S1-Wurzeln auftreten. Dies kann direkt nach dem Unfall oder postoperativ durch Einklemmen der Nervenwurzeln in der Fraktur oder durch fehlplatzierte Schrauben geschehen. Bei offenen operativen Versorgungen von Sakrumfrakturen können die Fragmente entfernt und die Nervenwurzeln befreit werden. Prof. Keel führte am 15. März 2016 weltweit erstmals eine Entlastung des Plexus lumbalis über den Pararectus-Zugang durch, wodurch sich eine Fussheberparese bei einem Patienten nach verpasster Sakrumfraktur und sekundärer Verschiebung erholte. Die Technik und die ersten Fälle wurden im Jahr 2020 publiziert.
In seltenen Fällen können Schwächen oder Lähmungen der Adduktorenmuskulatur am Oberschenkel durch Verletzungen des Nervus obturatorius am vorderen Beckenring entstehen. Dies kann durch Frakturfragmente oder Manipulationen während der Operation verursacht werden. Ungefähr 5% der Beckenverletzungen führen zu Inkontinenzproblemen der Blase oder des Enddarms sowie Potenzstörungen.